Sechzig Stunden.
12.10.2017. Drei Todesnachrichten aus dem persönlichen Umfeld innerhalb von sechzig Stunden erhalten. Die letzte vor einer knappen halben Stunde um 19:33 Uhr. Ich esse Nudeln mit Tränen und lasse Vivaldi´s „Vier Jahreszeiten“ recomposed von Max Richter laufen.
Die erste Nachricht über das plötzliche Ableben eines Menschen – mit dem ich mir vor einigen Jahren den Arbeitsplatz, Katzengeschichten, Heiteres und Aufwühlendes über die Kollegenschaft und KundInnen, Messestände, Bauzeitpläne und Urlaubsvertretung geteilt habe – kam am frühen Morgen um 07:30 Uhr. Abfahrt zur Arbeit. Der Kopf beginnt sofort Memory zu spielen und lässt unkontrolliert ein Erinnerungsbild nach dem anderen los. Es fragt sich warum, wie und wann es geschehen ist, dass S. seiner Liebsten gefolgt ist. Was ist nun mit den geliebten Katzen? Wann haben wir uns zuletzt gesehen? Vor etwa drei Monaten als wir beide im Kreisverkehr gefahren sind, er mich aber nicht wahrgenommen hat, antwortet mein Erinnerungsvermögen. Die letzte Begegnung war bei einem traurigen Anlass: einer Beerdigung im Februar 2015. Antworten auf die anderen Fragen werden folgen. Ruhe in Frieden, lieber S.
Ein Arbeitstag will bewältigt werden und wird es auch.
Am Abend erreicht mich ein Nachruf auf einen lieben Menschen, den ich als langjährigen Freund und Unterstützer meiner letzten, freundschaftlich verbundenen Arbeitgeber kennen- und schätzen lernen durfte. Der Erinnerungsflash an einen großen Tierfreund geht los. Der Nachruf ist sehr liebevoll und tröstlich formuliert. Ich denke an seine Liebsten, geh mir die Zähne putzen und ins Bett und wünsche an diesem Abend auch Herrn A., dass er in Frieden ruhen möge.
Und dann stehe ich wieder auf und begrüße einen neuen, schön-anmutenden Herbsttag. Die Möwen sind, wie derzeit fast jeden Morgen, zahlreich am Acker zu sehen. Ich freue mich über den Anblick und fahre zur Arbeit um mich in mein aktuelles Projekt zu knien.
Um 12:29 Uhr ruft mich die Frau eines lieben Freundes an um mir mitzuteilen, dass er im Sterben liegt und ich mich im Krankenhaus von ihm verabschieden könnte wenn ich wollte. „Kann er reden?“, frage ich unter anderem. „Nein, kann er nicht mehr…“, sagt L., bricht in Tränen aus und legt auf. Mein Herz schmerzt und spült Tränen in die Augen. Ich atme. Ich verständige eine gemeinsame Freundin und rege mich auf, dass ich – bzw. wir als Freundschaftspaket – „erst jetzt bescheid bekommen, dass es so schlimm um H. steht.“ Ich wühle weiter in meinem Projekt und werde später zu H. fahren um mich von ihm zu verabschieden. F*ck. Wir wollten uns doch treffen, sehen, updaten, eine gute Zeit verbringen. F*ck.
Feierabend. Es ist ein wirklich schöner Herbsttag. Die Sonne verstärkt die Farben und spielt mit den Wolken.
Ich fahre los.
Ans Sterbebett eines Freundes den ich fast nur lachend Erinnerung habe. Mit dem ich in den letzten neuneinhalb Jahren gute Zeiten und heitere Momente erlebt habe, der mir seit unserer ersten Begegnung wohltuend wohlgesonnen ist. Eine Fische-Connection again, in aufrichtiger, wertschätzender gegenseitiger Zuneigung.
Ich fahre los und wechsle das Lied, wechsle das Album, skippe einen USB-Stick durch. Gebe einen anderen rein und noch einen weiteren. Ich skippe, skippe, skippe. Kein Lied passt. Niemand meiner geliebten musikalischen ReisebegleiterInnen kann es mir gerade recht machen. Ich skippe. Plötzlich klingt „Blackstar“ an. David Bowie. Das Album, mit dem ich mich damals nicht anfreunden wollte, nicht konnte. Nicht wollte. Mit David Bowie fahre ich zu H., keine wirkliche Vorstellung davon habend, was mich erwarten würde.
Ich verbringe eine Stunde mit einem sterbenden Freund. Es wirkt unwirklich und gleichzeitig bin ich mir der vollen Härte der Realität bewusst. Ich wünsche ihm Schmerzfreiheit und dass er diesen Zustand bald verlassen kann. Ich verabschiede mich von einem lieben Wegbegleiter und verlasse das Krankenhaus. Die Verbindung bleibt.
Sein Zustand hatte sich vor fünf Tagen drastisch verschlechtert und er hat das letzte Mal vor zwei Tagen gesprochen. Mein Aufreger seiner geliebten Frau gegenüber einige Stunden zuvor tut mir im Moment der Information aufrichtig leid und das Gefühl der Dankbarkeit stellt sich ein. Dankbar dafür, dass L. mich angerufen hat und mir die Möglichkeit zur Verabschiedung gegeben hat.
Nun bist Du gegangen, my dear H. …viel zu früh. Und dennoch war es für Dich an der Zeit. Lieber H., auch an dieser Stelle ein inniges Dankeschön für Deine Freundschaft. Ich danke Dir fürs übers Meer heimfahren und für so vieles mehr…!
Liebe Männer ab 45 – bitte nehmt euch die Zeit für eine regelmäßige Prostata-Vorsorgeuntersuchung. Liebe Partner*innen, bitte weist eure Liebsten darauf hin.
„Aus Liebe zum Leben.“
Mein Mitgefühl gilt all jenen, die diese drei Menschen geliebt haben und vermissen.
Wir werden alle sterben, doch bis dahin lasst uns ein gutes Leben führen und unsere Beziehungen möglichst so gestalten, dass am Ende nichts ungesagt bleibt und es nichts zu bereuen gibt meint herzlichst,
Veganita.